Münster – Die Schlange vor der Aula der Waldorfschule ist lange vor Einlass am Mittwochabend bereits beträchtlich, und sie wird immer länger. Kein Wunder, denn die Werke, die für das Semesterabschlusskonzert gewählt wurden, entwickeln stets eine ordentliche Zugskraft. Allen voran Mendelssohn Bartholdys „Sommernachtstraum“.
Bereits in den ersten Takten der Ouvertüre zeigt sich, dass Cornelius During und das Studentenorchester bereit zum Grenzgang sind. Bei den Tempi wird nicht auf Sicherheit gesetzt, auch nicht bei Stellen, die knifflig sind. Gut so, denn von der Bewegtheit leben diese Partien. Das Notturno, oft genug gar in Profi-Orchestern zu Kitsch und Kieksern neigend, wird zu einem mystisch- märchenhaften Erlebnis, getragen von einem Fantastischen Hornsolo. Welches strenggenommen gar keines ist, denn es lebt vor allem auch vom zweiten Horn. Damit, und natürlich mit dem folgenden Hochzeitsmarsch, ist die Pointe des Programms zementiert, denn auch zur Liebe gehören bekanntlich mehr als eine/r.
In kurzen Einwürfen zwischen den Stücken erzählt Poetry-Slammerin Larissa Rosenthal ein e bittersüße Liebesgeschichte, die mit dem Sommernachtstraum beginnt und am vielleicht unausweichlichen „ganz oder gar nicht“ scheitert. Geschickt greift sie dabei das musikalische Bühnengeschehen auf – etwa zwei Saiten, die zusammen gespielt werden. Denn auch Bottesinis „Passione Amorosa“ ist kein Solo. Der Kontrabass als Konzertinstrument, und dann gleich zwei? In der Praxis funktioniert das erstaunlich gut, vor allem mit zwei so versierten Solisten wie Julianne Bruckmann und Alexander Weiskopf, die mit flinkem Flageolettenspiel und virtuoser Finesse den enormen Ambitus und Klangfarbenreichtum des Instruments ausreizen.
Jean Sibelius ist einer der größte Sinfoniker nach Beethoven. Ein kontroverses Statement, aber gemessen der Reaktion auf seine fünfte Sinfonie würde das heutige Publikum dem Unterzeichner vielleicht nicht allzu vehement widersprechen. Gewaltige, gleichzeitig feinsinnige Stimmungsbilder, entstanden vor dem Hintergrund einer der größten Krisen der Menschheitsgeschichte, getragen von wunderbar austarierten Blechbläsern, auf denen sich ein satter, farbenreicher Streicherklang entwickeln kann. Dann noch „Finlandia“ als Zugabe zu liefern, ist eine wirklich große Geste.
Robin Gerke, Westfälische Nachrichten, Donnerstag, 03.02.2022