Münster – Die russische Kultur ist viel zu wertvoll, als dass sie in Kriegszeiten aus der Öffentlichkeit verbannt werden sollte. Wie auch Münsters Studentenorchester zeigte.

Darf man in diesen Zeiten russische Musik spielen? Aber ja! Denn die gehört zum festen Bestandteil europäischer (Klang-)Kultur. Und was können Mili Balakirew oder Peter Tschaikowsky dafür, dass Russland derzeit Waffen gegen die europäische Zivilisation richtet? Es war also richtig, dass das Studentenorchester bei seinem Konzert am Donnerstag im Mutterhaus der Franziskanerinnen Tschaikowskys vierte Sinfonie in den Mittelpunkt rückte und sein Programm mit Balakirews „Ouvertüre über drei russische Themen“ eröffnete. Musik, die sicher alle Krisen überleben wird. Zumal dann, wenn sie so großartig, so inspirierend gespielt wird wie bei diesem fantastischen Konzert.

Aber vielleicht war an diesem Abend auch der Engländer der Favorit: Edward Elgar und sein Cellokonzert. Benedikt Loos griff als Solist in die Saiten – und ließ das Stück zusammen mit dem Orchester zu einem echten Ereignis werden. Weil er sich nicht als Kraftmeier präsentierte, sondern als Primus inter Pares. Immer im direkten Kontakt zu dem, was das Orchester lieferte. Und das mit einer unglaublichen Präzision. Da hat Dirigent Nicolas Kierdorf gute Arbeit geleistet. Benedikt Loos ist nicht der Mann der großen Geste, seine Lesart des singulären Konzertes hört auf das Intime, das Verinnerlichte, spürt den feinen Tönen nach – ohne das Sportliche zu vernachlässigen wie etwa im Mittelteil des ersten Satzes. Loos schafft das – als ein Virtuose, der nicht vordergründig virtuos daherkommt. Einfach toll, musikalisch und musikantisch!

Dann zum Finale Tschaikowskys Vierte: Musik, die sich der Komponist von der Seele geschrieben hat. Und das Studentenorchester spielte sie beseelt. Nicolas Kierdorf stand das erste Mal als Dirigent am Pult und leitete unprätentiös, aber mit Akkuratesse ein Ensemble, das wahrlich zur Höchstform auflief. Wohin man auch hörte: Alles lief rund! Die fünf Hörner, die gerade hier so wichtig sind, edle Holzbläser, perfektes Blech, Streicher, die mal elegisch, mal völlig elektrisiert agierten. Und ein Mensch an der Pauke, der mit der Präzision einer Uhr den Puls anzeigte.

Fazit: Das Studentenorchester ist mit seinem neuen Dirigenten Nicolas Kierdorf auf einem Niveau angelangt, das schlichtweg als professionell gelten muss. Wichtig an diesem Abend war, dass Spenden für das Hospiz in Iwano-Frankiwsk in der Westukraine gesammelt wurden. Das münstersche Johannes-Hospiz pflegt seit 2017 eine enge Partnerschaft mit dieser Institution. Russische Musik zu diesem Zweck? Aber ja. Denn die sprengt alle Grenzen, vor allem in den Köpfen!

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Christoph Schulte im Walde, Westfälische Nachrichten, Freitag, 08.07.2022